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(Die Erklärung ist auch als pdf-Dokument erhältlich)

 

Antidiskriminierungsrecht:
Die Auseinandersetzungen beginnen jetzt erst!

Man sollte meinen, die Diskussion um ein deutsches Antidiskriminierungsgesetz sei nun endlich an ihrem Ende angelangt. Aber nein: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das zum August in Kraft tritt, verstößt so offensichtlich gegen europäisches Recht, dass die gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Wirksamkeit des „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes“ nun erst beginnen werden. Diskriminierungsschutz auf dem Wohnungsmarkt nur gegen Großvermieter? Ein Verstoß gegen europäisches Recht. Keine Vertretungsbefugnis für Antidiskriminierungsverbände? Ein Verstoß gegen europäisches Recht. Kein spezieller Diskriminierungsschutz gegen Kündigungen? Ein offensichtlicher Verstoß gegen europäisches Recht.

Andererseits dürfen sich nach über dreißigjähriger Debatte diejenigen freuen, die sich schon seit Jahren und Jahrzehnten mit Fragen gesellschaftlicher Differenzen und Ungleichheiten beschäftigen: Die Frage, wie gesellschaftliche Gerechtigkeit zu gewährleisten ist, wie differente Lebensentwürfe und Kulturen integriert werden können, scheint endlich in der Öffentlichkeit sowie in der Rechtswissenschaft angekommen zu sein. Tatsächlich braucht die deutsche Gesellschaft dringend eine ernsthafte gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber, wie Mechanismen der gesellschaftlichen Ausgrenzung zugunsten von Inklusionsmechanismen abgebaut werden können und wie dabei Respekt vor Differenzen und unterschiedlichen Lebensformen entwickelt werden kann.

Wenn Migrantinnen und Migranten ausschließlich in ihrer Ethnizität angesprochen werden, wenn Frauen trotz zunehmender Auflösung gängiger Stereotype immer noch in erster Linie in ihrer Geschlechterrolle wahrgenommen werden, bleiben ihre Handlungsoptionen faktisch beschränkt – ob im Hörsaal, beim Vorstellungsgespräch oder beim Clubbing, wenn Menschen „zu ihrem eigenen Wohl“ nicht in die Disko gelassen werden. Die Betroffenen erfahren, dass sie nicht dazu gehören, anders sind, mehr leisten müssen und eben nicht die gleichen Chancen erhalten.

Gleiches gilt für andere Verallgemeinerungen aufgrund gesellschaftlicher Differenzen. Nachteile entstehen vor allem dort, wo mit Differenzen Hierarchisierungen verbunden sind, wo behinderte Menschen, Frauen, Migrant/innen, ältere, schwule oder lesbische Menschen zurück gesetzt werden, geringeres Entgelt erhalten, mehr für Leistungen bezahlen müssen, ausgeschlossen und in Ghettos gedrängt werden. Neben den relativ bekannten Nachteilen am Arbeitsmarkt betrifft das zum Beispiel das private Versicherungswesen. Frauen bezahlen unabhängig von ihrem konkreten Risiko pauschal mehr Krankenversicherungsbeiträge als Männer, älteren Menschen und solchen mit Behinderungen wird der Versicherungsabschluss ganz verwehrt, und Männern in gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaft wird der Abschluss einer Lebensversicherung mit Verweis auf das erhöhte HIV-Risiko bei Schwulen verweigert. Andere diskriminierungsrelevante Lebensbereiche sind Dienstleistungen in der Hotel- und Gastwirtschaft oder der Wohnungsmarkt – für viele Vermieter/innen sind deutscher Stammbaum und heterosexuelle Lebensweise mindestens genauso wichtig wie die Solvenz der künftigen Mieter/innen. Nicht minder stark fallen strukturelle Diskriminierungen ins Gewicht, die sich für Frauen zum Beispiel aus der Anrechnung des Partnereinkommens bei Sozialleistungen und bei Migrant/innen durch die Nichtanerkennung ausländischer Berufsabschlüsse ergeben.

Es ist bezeichnend für die deutsche Debatte, dass ein Antidiskriminierungsgesetz letzt­lich nur über den Anstoß von außen möglich zu sein scheint, und zwar über die Europäische Union, die wiederum auf Erfahrungen der angloamerikanischen Rechtsordnungen zurück greift. Die Hitzigkeit der jüngsten politischen Auseinandersetzungen hat aber leider weniger die Qualität als die Redundanz der Argumente erhöht. Bis heute laufen die politischen wie die rechtswissenschaftlichen Debatten unter den Stichwort „Anständigkeit“ und „Schuld“, man befürchtet „Inquisition“ und ist der Meinung, hier gehe es um „Gesinnungen“. Hierin drückt sich einerseits eine beständige Ausrichtung des Blicks auf die potenziellen Täterinnen und Täter von Diskriminierung aus. Dabei ist die Wirkungsmächtigkeit von diskriminierenden Hand­lungen und Kriterien doch erst aus Perspektive der Betroffenen zu verstehen, für die Zuschreibungen, Herabsetzungen und Ausschlüsse zur Alltagserfahrung zählen.

Andererseits weist die Täter/innenfixierung auf ein fundamentales Missverständnis hin: Der Europäische Gerichtshof hat bereits vor langem klar gestellt, dass Diskriminierungen auch dann unterbunden werden müssen, wenn sie unverschuldet geschehen; auch dann, wenn die jeweilige Person oder (häufiger) das jeweilige Unternehmen gar nicht diskriminieren wollte. Es geht gerade nicht um Schuldzuweisungen. Es geht um die Verteilung und den Ausgleich gesellschaftlicher und wirtschaftlich-sozialer Interessen und Risiken; es geht um die Gewährleistung von Handlungschancen und Handlungsoptionen. Freiheit? Selbstverständlich – für alle die gleiche Freiheit. Privatautonome Freiheit wird dort versagt, wo Menschen im öffentlichen Leben nur nach ihrer Gruppenzugehörigkeit sortiert und ausgegrenzt werden. Freiheit und privatautonome Selbstbestimmung wird dort versagt, wo Unternehmen die Auswahl unter ihren potenziellen Vertrags­part­nerinnen und Vertragspartnern nach rein statistischen Kriterien treffen, anstatt sich die Mühe zu machen, Menschen als Individuen ernst zu nehmen.

Das moderne Antidiskriminierungsrecht muss deshalb gerade in Deutschland privatrechtlich fundiert und konstruiert sein. Privatrechtlicher Diskriminierungsschutz thematisiert nicht Gedanken und Meinungen. Privatrechtlicher Diskriminierungsschutz thematisiert Handlungen, die anderen nur dann die Teilhabe am Markt ermöglichen, wenn diese neben den ökonomischen Auswahlkriterien (die für alle gelten) einem bestimmten gesellschaftlichen „Norm­bild“ entsprechen. Effektiver privatrechtlicher Diskriminierungsschutz gibt Menschen, die sich ausgegrenzt und diskriminiert fühlen, erst einmal die Chance, dies in rechtlicher Form und damit unter Bezugnahme auf allgemeine Gerechtigkeitsmaßstäbe zu benennen. Konkrete Diskriminierungserfahrungen können rechtlich benannt, vor einem öffentlichen Forum wie einem Zivilgericht verhandelt, und mit Konsequenzen versehen werden.

Der Gesellschaft bietet effektiver privatrechtlicher Diskriminierungsschutz ein Frühwarnsystem: Wo findet Diskriminierung statt, und was ist gar keine Diskriminierung, sondern sinnvoll und legitim differenzierende Behandlung? Wo müssen Menschen dazu lernen, wenn sie öffentlich Arbeitsplätze, Waren und Dienstleistungen anbieten und insofern gesellschaftliche Strukturen und Lebenschancen anderer Menschen mitgestalten? Insofern lässt sich gesellschaftliche Wirklichkeit natürlich nicht unmittelbar durch ein „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“ verändern. Es könnte aber dazu führen, dass sich Veränderungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit im Recht widerspiegeln und öffentlich thematisieren lassen, bevor sie sich in privater Gewalt äußern. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz könnte dabei helfen, dass Menschen und Unternehmen, die diskriminierend handeln, ohne dies zu wollen, ihrem Willen entsprechend zu handeln lernen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz könnte es ermöglichen, dass Änderungsprozesse „von unten“ angestoßen werden. Es könnte gleichsam ermutigen, indem es zeigt, dass Diskriminierung gesellschaftlich geächtet ist und sich nicht lohnen soll.

Das Erkennen von systematischen Diskriminierungsmustern und ihre differenzierte Behandlung über den Einzelfall hinaus erfordert spezialisierte Expertise, die durch den Kontakt zur gesellschaftlichen Praxis erworben wird. Eine echte Verbandsklage würde es Vereinigungen ermöglichen, Ungleichheiten und Diskriminierungsmuster, die repräsentativ für gesellschaftliche Entwicklungen stehen, gezielt und aus eigenem Antrieb anzugreifen und in rechtlicher Form zu thematisieren. Durch solche Interessenvertretung würde die Schwäche einer allein individualrechtlichen Ausrichtung privatrechtlichen Antidiskriminierungsrechts kompensiert: Bislang obliegt es einzig der oder dem Einzelnen, gesellschaftliche Missstände durch Beschreiten des Rechtsweges zu thematisieren.

Nun ist es keineswegs so, dass es im deutschen Privatrecht nicht bereits einen gewissen Schutz vor Diskriminierung gäbe. Dieser erfolgt über die Generalklauseln und allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften. „Gute Sitten“ heißt eben, die Grundrechte anderer zu beachten. „Treu und Glauben“ bedeutet, nicht zu diskriminieren. Wie diese Begriffe konkret gefüllt werden, hängt mit gesellschaftlichen Wertvorstellungen zusammen, und diese ändern sich stetig. Das BGB ist nicht mehr das BGB des Jahres 1900. Deshalb wird in der deutschen Rechtswissenschaft zunehmend behauptet, „legislative Vernunft“ bestünde darin, künftig im Diskriminierungsschutz auf diese Generalklauseln zu vertrauen anstatt auf ein Sondergesetz zu setzen. Dabei wird vergessen, dass der Wandel im BGB stillschweigend stattgefunden hat. Weder der deutschen Zivilrechtspraxis noch der Zivilrechtswissenschaft ist es bis heute gelungen, die Generalklauseln für einen effektiven Diskriminierungsschutz zu nutzen. Im Gegenteil: Gerade die Zivilrechtswissenschaft, die sich jetzt auf die Wirksamkeit der Generalklauseln beruft, bestreitet seit Jahren vehement die Legitimität privatrechtlichen Diskriminierungsschutzes. So ist die Bedeutung der bestehenden Generalklauseln im Diskriminierungsschutz in Rechtspraxis und Rechtswissenschaft weitgehend unbekannt geblieben. Sie bieten auch keine angemessenen Sanktionen, wie sie das europäische Recht verlangt.

Dennoch ist der Verweis auf die Generalklauseln wichtig. Er spricht insbesondere gegen eine 1:1-Umsetzung der europäischen Richtlinien, das heißt, gegen eine Umsetzung, mit der das europäische Recht nur abgeschrieben wird – wodurch der Diskriminierungsschutz außerhalb des Arbeitsrechts auf rassistische Diskriminierung und Geschlechtsdiskriminierung beschränkt würde. Eine solche direkte Übernahme der Richtlinien führte zu Brüchen in der Rechtsordnung. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die Normen des europäischen Rechts so in die nationale Rechtsordnung zu integrieren, dass die Konsistenz gewahrt bleibt. Für die Umsetzung in Deutschland ist aber nicht nur privatrechtliche, sondern auch verfassungsrechtliche Konsistenz zu wahren. Die europäischen Richtlinien sind inhaltlich durch politische und teils zufällige Entscheidungen bestimmt. Anders als die deutschen Grundrechte sehen sie zum Beispiel für Fälle der Geschlechtergleichbehandlung und der rassistischen Diskriminierung weitergehende Vorschriften vor als bei anderen Diskriminierungen. Eine 1:1-Umsetzung dieses Ansatzes ist im deutschen Kontext nicht nur grundrechtlich problematisch; sie würde auch zu hoher Intransparenz führen, denn die Generalklauseln und allgemeinen privatrechtlichen Vorschriften dürfen solche Unterschiede nicht machen.

In der Wahl des integralen „horizontalen“ Ansatzes ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz also auf dem richtigen Weg. Nur ein integraler Ansatz kann Transparenz gewährleisten und die Chancen des Antidiskriminierungsrechts für diese Gesellschaft mobilisierbar machen. Für einen integralen Ansatz spricht übrigens noch ein ganz einfacher weiterer Grund: Gesellschaftliche Ungleichheit und Ausgrenzung ist nichts Eindimensionales. In den USA ist dies seit Jahrzehnten intensiv diskutiert worden: Jeder Menschen hat nicht nur ein Geschlecht, ein Alter, eine körperliche Verfassung und eine sexuelle Orientierung, sondern wird von anderen zum Beispiel auch ethnisch ein- und zugeordnet. Das zeigt auch die Beratungspraxis in Deutschland. Frauen mit Migrationshintergrund fühlen sich nicht automatisch von Anlaufstellen für Frauen repräsentiert. Oft spielen der Aufenthaltsstatus oder rassistische Zuschreibungen eine verstärkende oder problemverlagernde Rolle bei der Benachteiligung, die Migrantinnen erfahren. Das Problem der Mehrfachdiskriminierung stellt sich ähnlich bei Frauen mit Behinderungen.

Wo sich Sexismen, Rassismen und andere Normierungs- und Ausschlussmechanismen über­schneiden, stellt sich aber auch die Frage nach adäquaten Anlauf- und Unterstützungsstellen. Hier liegt eine weitere Herausforderung für die Implementierung von Antidiskriminierungsrecht und die zentrale Schwäche des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Hierzulande besteht eine ausdifferenzierte Beauftragten- und Beratungsstruktur, deren Vor- und Nachteile mit Blick auf niedrig schwelligen Zugang und effektive Antidiskriminierungsarbeit diskutiert werden müssen. Eine einzige Stelle auf Bundesebene, wie sie nun eingeführt werden soll, wird diesen Anforderungen jedenfalls nicht gerecht. Unsere europäischen Nachbar/innen haben uns diesbezüglich einiges an Erfahrung voraus. Ein Blick über den Tellerrand lohnt sich also in Deutschland, dem Entwicklungsland des Diskriminierungsschutzes.

Juli/September 2006

Feministisches Rechtsinstitut e.V., Hamburg
Antidiskriminierungsbüro Leipzig

  

 

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